.....ThErApiE.....

1.Juli 2003

Nun ist es also so weit.. Meine Mum hat mit unserem Hausarzt, der mich schon einige Jahre "kennt" gesprochen.. Und nun hab ich einen Termin mit ihm. Er will mich an einen Psychiater überweisen. Ich und meine Mum haben abgemacht, dass sie mit ihm über SVV, die körperlichen Symptome und die entsprechenden Antidepressiva spricht. Nun sitz ich also diesem Mann gegenüber, auf dem Stuhl, auf dem ich schon oft sass, wegen irgendwelchen kleineren Problemen. Aber dieses mal schaut er mich anders an, als zuvor. Irgendwie so... bemitleidend, und verlegen... beschämt. Keine Ahung, er redet irgendwas, ich höre nur die Hälfte, von dem was er sagt. Er fragt mich, warum ich mich schneide. Ich kann das doch nicht in einem Satz erklären, zudem möchte ich lieber mit dem Therapeuten darüber reden. Nun meint er, es sei gut, dass ich es ernst nehme... Er kann es natürlich auch nicht so gut beurteilen, aber er denke da eher an eine "Phase des Erwachsenwerden" Klar, ist ja auch ganz normal, dass man sich die Arme aufschneidet....

 

10.Juli 2003

Ich war ganz schön aufgeregt, obwohl es eigentlich keinen Grund gab. Ich musste diesem fremden Mann ja nur erzählen, wie ich es mir schon tausend mal im Kopf ausgemalt habe, und es schon meinen Eltern und Freunden erzählt habe. Ich war mir nur nicht ganz sicher, ob er der richtige Therapeut ist. Eigentlich wollte ich lieber zu einer Frau. Aber nach der ersten Stunde heute, macht er eigentlich einen ganz netten Eindruck. Von Vertrauen kann ich noch nicht reden, aber ich konnte gut mit ihm reden und ich hatte fast ein bisschen das Gefühl, dass er mich verstand. Er wollte in der ersten Stunde mehr oder weniger etwas über meine "Geschichte" und über mich selber wissen. Also fing ich einfach an zu erzählen, seit wann ich ritze, und er fragte mich, warum ich es in diesen Momenten tue, und ob es vor zwei Jahren meiner Meinung nach einen Auslöser gab. Da erzählte ich ihm halt auch, natürlich erst oberflächlich, was damals geschah, mit meinem ersten Freund. Ich erzählte, wie ich mich fühle im moment und in der letzten Zeit, von den Gefühlschwankungen, den Wutausbrüchen, dem Leere-Gefühl, dass ich meinen Körper nicht spüre, und mich dann selbstverletze. Er fragte mich, was mein Ziel bei der Therapie wäre. Eigentlich weiss ich das gar nicht.. Das hab ich ihm auch so gesagt. Ich weiss nicht, ob ich überhaupt mit SVV aufhören will, da es ja das einzige ist, was mir hilft. "Ich will wissen was mit mir los ist", war dann also meine Antwort. Nachdem er sich meine Symptome und Schilderung angehört hatte, sagte er, dass es da schon einen Namen dafür gäbe, der zu den Symptomen und den Umständen passt: Borderline
Ich wäre aber noch etwas jung (19) um definitiv diese Diagnose zu stellen, aber es käme sehr wahrscheinlich in Frage. Dann gab er mir (nach meinem Wunsch) Antidepressiva (-> Zoloft) mit und machte mit mir bereits einen neuen Termin auf nächste Woche ab. Am Schluss, musste ich ihm noch versprechen, dass ich mich nicht umbringen werde, und wenn ich es vorhätte, soll ich zuerst mit ihm reden. Auf seinem Handy kann ich ihn jederzeit erreichen...

17.Juli 2003

In der zweiten Sitzung war es schon lockerer.. Eigentlich ist er ja ganz nett. Er fragte mich, ob ich mich geschnitten hätte, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich habe ihm erzählt, dass ich gestern Abend geritzt habe und er wollte die Verletzungen sehen. Ganz erstaunt fragte er, ob es das einzige mal in dieser Woche gewesen ist. Als würden die Medikamente und die Therapie schon helfen.. ts.. Es gibt manchmal auch Wochen, in denen ich kein einziges mal verletze und dann wieder jeden Tag. Das bedeutet aber nicht, dass es mir dann besser geht. Die letzte Woche war ich manchmal zu abwesend um mich zu ritzen, oder abgelenkt durch meine Eltern oder Freunde. Ich versuche seine Fragen so gut es geht zu beantworten. Aber immer wieder weiss ich keine Antwort darauf. Ich habe Angst, dass er mir nicht glaubt, nur weil ich meine Gefühle nicht genau beschreiben kann. Ich musste mich beherrschen, damit ich nicht wegdrifte. Ich hatte Mühe, alles zu hören, was er sagte.. ein paar Worte gingen an mir vorbei. Er fragte mich, ob ich traurig sei, nicht einmal das konnte ich ihm beantworten. Fast die ganzen 50Minuten redete er über Alternativen, wenn ich das Bedürfnis habe, mich zu verletzen. Ich soll Schwimmen gehen, oder abwechselnd kalt und heiss duschen, damit ich meinen Körper wieder spüre. Oder mich mit Freunden verabreden, damit ich mich ablenke. Er sagt, ich soll experimentieren.. Ich habe keine grosse Lust darauf, verspreche ihm aber, dass ich es versuchen werde. Ich weiss jedoch, wenn ich mich in meine eigene Welt zurückziehe, kann ich nicht mehr klar denken und das Versprechen wird mir egal sein.

23.Juli 2003

 Ich glaube, heute geht es mir etwas besser, als das letzte mal. "Glauben" weil ich mir da nie ganz sicher bin. Manchmal weiss ich überhaupt nicht, wie ich es mir geht. Ich sagte dem Therapeuten heute am Anfang der Sitzung, dass es mir leid tut, wenn ich keine Antwort auf seine Fragen weiss. Das sei in Ordnung, sagte er. Dann gab ich ihm meine selbstgeschriebenen Gedichte. Er las und ich schaute ihm zu. Zwischendurch fragte er mich etwas, oder nickte einfach mit dem Kopf. Dann versuchte er zu erklären, dass er die Gedichte eindrücklich fand, aber doch nicht sagen will, sie seien toll, weil sie eigentlich voller Leid und Schmerz sind. Ich könne meine Gefühle sehr gut in Worte ausdrücken, einige sollte man sogar veröffentlichen, meinte er. Ich weiss nicht, ob er etwas zu dick aufgetragen hat, auf jeden Fall bedankte er sich dafür, dass ich sie ihm gezeigt hatte und wollte ein paar Gedichte kopieren. Er versuchte etwas zu sagen, unterbrach dann aber wieder. Er hätte Mühe, nach diesen Gedichten normal weiter zu reden... Ich sass nur kalt auf dem Stuhl und versuchte zu lächeln. Als hätte ich meinen ganzen Schmerz in mein Buch geschrieben und mich davon befreit. Vielleicht habe ich meine Gedichte aber nur zu oft gelesen, so dass sie mich nicht mehr berühren. Er kam nocheinmal auf meine Vergangenheit zurück. Er fragte, ob es vor dieser Geschichte mit meinem Ex schon ein Trauma gab. Das hat er schon mal gefragt und ich antwortete wieder mit Nein. Er wollte nun etwas genauer wissen, was damals geschah. Ich erzählte ihm, wozu ich in der Lage war. Er meinte, dass irgendwo in mir noch eine Kraft steckt, die auch in den Gedichten sichtbar wird. Er erzählte die Geschichte von der "Stein-Palme". Eine junge, lebensfrohe Palme wollte wachsen und gross und stark werden. Doch dann kam eines Tages ein Mann, der wütend war und warf einen grossen Stein auf die Palme. Die konnte dann nicht mehr nach oben wachsen und fing an immer grössere Wurzeln zu machen und fand unter der Erde eine Wasserquelle, die nur sie entedeckte. Sie stärkte sich daran und konnte mit dieser Kraft den Stein wegdrängen und gegen oben wachsen. Sie wurde grösser und stärker als alle Palmen um sie herum. Ich mag keine "Alles wird gut-Geschichten", aber sie ergibt einen Sinn. Unter anderem soll die Geschichte aussagen, dass es an allen Erfahrungen auch etwas positives gibt. Dem kann ich einfach nicht zustimmen. Ich hätte sehr gut auf einige Erfahrungen in meinem Leben verzichten können. Der Therapeut meinte, dass in mir der Diamant sichtbar wird, es aber noch ein langer Weg ist. Vielleicht ist diese Kraft, die Gabe Gefühle in Worte zu packen, mir über das Leben Gedanken zu machen, die Phantasie und der Wahnsinn, den ich durch meine Krankheit bekam. Ich bin froh all das zu haben, aber ganz bestimmt ist diese Kraft nicht die Stärke zu überleben, glücklich zu sein, selbstbewusst zu erscheinen. Ich fühl mich nicht stark, nein. Oft fühl ich  mich niedergeschlagen, von mir selbst vielleicht. Erdrückt von meiner eigenen inneren Kraft? Ich will aber nicht hören, dasss ich aus meinen Erfahrungen gelernt hätte und an diesen Erlebnissen wachsen kann. Das ist Blödsinn, es geht bestimmt mehr in mir davon kaputt, als dass etwas daran wächst.

30.Juli 2003

Heute in der Therapie hatte ich nicht das Gefühl, dass wir weiter gekommen sind. Es war komisch.. Auf dem Weg dorthin war ich depressiv, hatte zu nichts Lust, wollte es einfach über mich ergehen lassen. Aber dann fing ich vor ihm an aufzublühen und von der Stelle im Tessin zu erzählen. Er fragte mich dieses mal nicht nach neuen Verletzungen. Ich war froh darüber. Es gab die letzte Woche ein paar Situationen, wo ich gerne geritzt hätte, es aber dann doch nicht gemacht habe, wie schwach... Er wollte wissen, ob ich gut schlafe. Ich erzählte ihm von den zwei-drei Albträumen in letzter Zeit, in denen mich immer etwas verfolgt, meistens ein Mann. Gestern z.B. holte mich im Traum meine Mutter von der Schule ab. (obwohl ich nicht mehr zur Schule gehe?!) Ich sah sie von weitem im Auto sitzen. Auf der Strasse ging ein Mann und ich machte einen Bogen um ihn und ging zum Auto. Zuerst lachte er mich aus, dass ich ihm ausweiche und er folgte mir dann. Ich stieg zwar ein, aber der Motor ging nicht an und er klopfte an die Scheiben. Natürlich fragte der Therapeut wieder bis ins Detail (was der Mann anhatte, ob meine Mutter auch Angst hatte) Das ging alles ziemlich schnell und dann war der Traum zu Ende. Die erste Frage von ihm in jeder Sitzung ist immer "Wie geht's?" Ich hasse diese Frage, weil ich es nicht weiss. Ein bisschen besser vielleicht, die Stimmungsschwankungen sind beinahe weg. Aber ich weiss, dass das von den Medis kommt. Ich würde sie gerne absetzen, und wieder ICH sein. Aber ich habe noch Tabl. für 14 Tage. Ich erzählte ihm heute von einem Jungen, den ich kennengelernt habe. Eigentlich wollte ich das nicht, aber dann fragte er, ob ich gerne einen Freund hätte und ob ich jemanden im Auge hätte. Ich erzählte ihm, dass ich Angst habe, ihn öfters zu treffen, weil es immer so ist, dass es mir dann zu viel wird oder zu schnell geht. Es ist im Moment auch so, dass ich etwas anpacken möchte, aber dann doch sehr schnell mich umentscheide und mir alles gleichgültig wird und ich nur für mich vor mich her "leben" möchte. Dann zeigte ich ihm ein paar von meinen Zeichnungen. Auch da fragte er wieder, was dies und jenes für eine Bedeutung hat. Ich konnte ihm nicht alles erklären. Oft sehe ich einfach Bilder vor mir und die muss ich dann zeichnen. Deuten muss er sie selber.. Eins der Bilder zeigt die Gegensätzlichen Gefühle (Fröhlichkeit-Trauer usw..) Er meinte, er sähe heute schon mehr von dieser hellen Seite. Dem konnte ich aber nicht zustimmen. Tief in mir drinnen ist es immer noch dunkel und vernarbt. Er merkte, dass ich ihm gegen über eine Maske trage, obwohl ich mich gar nicht verstellen will vor ihm. Er sagte, ich könne hier so sein, wie ich wirklich bin. Ich nickte. Nächste Woche ist er in den Ferien, das heisst, die nächste Stunde ist erst in 14 Tagen. Er gab mir ein neues Rezept für das Medikament mit, ich weiss aber noch nicht, ob ich es mir holen soll.. Er meinte, wenn was ist, kann ich ihn jederzeit erreichen. Ich werde ihn aber nicht an seinen freien Tagen stören..



14.August 2003

Ich hatte heute keine Lust auf Therapie. Aber ich ging hin, weil sich einiges angestaut hatte. Es war mir ziemlich egal, was er zu sagen hat. Ich sass in meinem Sessel und starrte in die Luft. Es nervt, wenn er nichts sagt und mich anschaut. Ich erzählte ihm zuerst von den Streitereien und Sticheleien meiner Eltern. Er nickt immer so verständnisvoll und sagt dann, wie schwer das alles für mich sei. Ich brauche sein Mittleid nicht, und auch keine blöden Ratschläge. Er fragte mich, was ich tun würde, wenn meine Mutter ausziehen würde. ich denke gar nicht daran und darüber reden will ich erst recht nicht. Dann meint er, dass es heute fast normal wäre, wenn sich Eltern trennen. Was hab ich davon? Ich sei in einem Alter, in dem man gut damit fertig wird. Dann redete er davon, was für Möglichkeiten es gäbe, wenn ich ausziehen würde. Ich will aber nicht ausziehen, nicht jetzt. Früher konnte ich mir das gut vorstellen, aber im Moment nicht. Ich bin mehr zu Hause als sonst und brauche meine Familie mehr als zuvor. Ich kann keine Verantwortung für mich übernehmen! Aber das würde der Therapeut sowieso nicht verstehen und nur wieder "Warum" fragen. Ich erzählte ihm auch von E., dass er sich nicht mehr meldet, ohne dass etwas vorgefallen ist. Und dass ich mit meiner Lehre fertig bin und nicht mehr an meinem Arbeitsplatz bleiben kann. Da hatte er auch wieder eine einfache  Lösung bereit: eine neue Stelle suchen. Aber ich hab keine Kraft zu arbeiten und mich zu bewerben. Ich höre zu und sage "Jaja" zu seinen Vorschlägen. Wahrscheinlich merkt er, dass ich nicht so begeistert klinge, darum wechselt er das Thema. Er fragt, ob ich gut schlafe. Ich erzählte von den Albträumen und dem schlecht einschlafen. Ich habe ihn nocht nicht nach Schlaftabletten gefragt, weil es in letzter Zeit nicht mehr so oft vorkam. Er redet nur über oberflächliche Dinge, hab ich das Gefühl. Und wenn er auf ein Thema kommt, bleibt er dabei und hakt darauf rum. Ich versuchte ihm die Familiensituation zu beschreiben. Aber das fiel mir gar nicht so einfach. Es herrscht ein riesen Chaos in meinen Gedanken, ein Knäuel voller Wissen und Unwissen, ein Gemisch von Annehmen, Vorgestelltem und Realem. Klar ist es schwer für ihn alles einzuordnen, wenn er meine Familie nicht kennt. Und ich kann nicht gut meine Eltern beschreiben. Dann fragt er immer so, dass ich keine endeutige Antwort darauf weiss.. Ich war sehr müde und hatte Kopfschmerzen. Ich wollte nicht lange überlegen. Ich finde keine Ordnung in meinen Gedanken. Zum Schluss gab er mir meine Zeichnungen zurück. Die Zeichnung mit mir in einem Kokon habe ihn beschäftigt. Er fragte, ob ich sie nicht mal zeichnen will, wie sich der Kokon langsam öffnet und ich in der Aussenwelt teilnehme. Nein, das will ich nicht. Ich will niht zu dieser Aussenwelt gehören. Ich fühle mich sicher  da wo ich bin. Bei so viel Pessimismus gibt er mich bestimmt bald auf..

21.August 2003

Ich wirkte heute in der Therapie nicht mehr so niedergeschlagen wie das letzte Mal. Das merkte er bestimmt. Obwol mein äusseres Erscheinen nicht viel mit meinem wirklichen Befinden zu tun hat. Ich füh mich zu tot um zu weinen. Wir sprachen heute hauptsächlich von E. weil mich das im Moment am meisten beschäftigt (Sein Freund erzählte mir, dass er seit 2 Wochen eine andere Freundin hat..) Ich kann ja nicht sagen, wie es mir gehen würde, wenn das nicht passiert wäre. Der Therapeut wusste auch dazu eine Lösung: einen neuen Freund suchen! Das werde ich bestimmt unterlassen in nächster Zeit. Ich glaube, er verstand mich schon. Er ist ein guter Mensch und man kann prima mit ihm reden, aber das reicht für einen Therapeuten nicht. So wie ich mit ihm rede, könnte ich auch mit einer guten Freundin reden. Ich weiss nicht, wie wir darauf gekommen sind, aber er fragte ob die Medikamente meiner Meinung nach wirken. Nein hab ich ehrlicherweise geantwortet (verändert hat sich nichts, aber auch da weiss ich nicht, wie es ohne Medis wäre) Er wollte mir ein anderes Medikament geben, aber ich wollte lieber mal nichts nehmen, um zu sehen, was dann passiert. Er war einverstanden. Dann machten wir einen Termin für nächste Woche aus, bei dem meine Mutter auch mitkommen wird. So kann sie mir vielleicht bei der Entscheidung helfen, ob ich den Therapeuten wechseln soll. Und er möchte meine Mutter über meine Kindheit befragen. Das wird ja spannend. Dann wollte er von mir noch etwas wissen, worüber ich erst vor ein paar Tagen nachgedacht habe: Wenn ich einen Wunsch frei hätte, was wäre das? Ich antwortete ziemlich spontan, weil es momentan nur etwas gibt, was ich mir wirklich wünsche: Die Gedanken einfach mal abstellen zu können. Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nicht mehr sein..



26.August 2003

Heute kam meine Mum mit zur Therapie. Zuerst wollte sie vom Therapeuten wissen, wie sie sich verhalten soll, wenn ich mich geschnitten habe oder wenn sie merkt, dass es bald so weit ist. Sie erzählte, dass sie das vorhher merkt, ich benehme mich dann ganz anders, ich ziehe mich dann zurück. Kann schon sein... Sie reden über mich, als wäre ich gar nicht da. Ich sass daneben und kam mir vor wie ein Roboter, der nichts hören kann. Meine Mutter kann gar nichts tun, in diesen Momenten. Wenn ich nicht reden will, dann will ich es nicht, ich will dann einfach alleine gelassen werden. Sie sprachen die meiste Zeit darüber, wie sie mir helfen könnten, mit dem Ritzen aufzuhören. Hat mich mal jemand gefragt, ob ich das überhaupt will? Und tatsächlich, sie fragten mich, was ich dazu meine. "Ich will damit nicht aufhören, mich ströt es nicht!" Jetzt waren sie baff. Der Therapeut vorallem, meine Mum sagte weniger überrascht "Sehen sie, wenn sie nichts ändern will, können wir das auch nicht.." Er wechselte das Thema. Nun erzählte meine Mutter aus meiner Kindheit. Ich war immer ein aufgewecktes^, lebensfrohes und aktives Kind, im Gegensatz zu meinem Bruder, der als Kind sehr schüchtern war und nie von Mutter's Seite wich. Ich stand immer im Schatten von meime älteren Bruder, weil er mehr Aufmerksamkeit brauchte, meinte meine Mum. Und dann in der 1.Klasse kippte es. Ich war auf einmal nicht mehr selbstbewusst, immer mehr in mich selbst gekehrt. Damals fingen auch meine Krankheiten und Allergien an und plötzlich wollte ich nicht mehr ohne Mutter weg. Ich hörte das heute zum ersten mal. An meine Kindheit kann ich mich sowieso nur noch bruchstückhaft erinnern. Noch etwas habe ich erst heute erfahren: Dass meine Mutter und mein Vater zwar noch zusammen wohnen, aber eigentlich getrennt sind. "Wir hielten das für die beste Lösung, bis die Kinder selbstständig sind" Werde ich je selbstständig sein?? Nun erzählte sie von der Generationen-Geschichte, dass alle Frauen unserer Familie schon unter der Dominanz der Männer leideten. Nun unterbrach sie der Therapeut. "Sie dürfen nicht vergessen, dass an der Krankheit ihrer Tochter auch eine Missbrauchs-Geschichte Schuld ist." Sie ist sich aber sicher, dasss das mit F. nicht passiert wäre, wenn ich ein anderes Bild von Mann und Frau gelernt hätte (Nämlich nicht immer das tun, was der Mann will) Ich weiss nicht.. Hätte ich es wirklich verhindern können? Die Stund war um.. Wir machten einen neuen Termin, wieder mit meiner Mum, weil wir noch nicht ganz fertig wurden mit der Kindheitsgeschichte.



29.August 2003

Ich hatte heute einen Termin mit dem Psychiater alleine. Er wollte noch eine Sitzung mit mir, bevor meine Mutter nächste Woche wieder mit kommt. Es war mir heute das erste mal egal, wenn ich nichts sagte. Bei jeder Schweigepause hatt ich Mühe bei mir zu bleiben. Vielleicht merkte er es, auf jede Fall fragte er, ob es unangenehm sei, wenn nichts gesprochen wird. Ja antwortet ich und lehnte sein Angebot ab, dass wir mal eine Schweigestunde machen können, wenn mir danach ist. Er kamm wieder zur Selbstverletzung und wie ich damit aufhören könnte und meinte, dass er ziemlich überrascht war darüber, was ich das letzte mal gesagt habe. Dass ich nicht aufhören will. Was verlangen die alle von mir? Wenn ich wüsste, dass es besser wäre ohne, hätte ich es wenigstens mal versucht, und wenn ich es schaffen würde ohne, hätte ich längst aufgehört damit. Es geht nicht nur darum, mich zu schneiden, um mich wieder zu spüren, wie es der Therapeut meint. Oder weil ich wütend bin, wie es meine Mutter meint. Ich hasse meinen Körper, ich will ihn vernichten, loswerden, zerstören. Er ist an allem Schuld, was passiert ist.. Er gehört nicht zu mir, also stört es micht nicht, wenn ich ihn verletze. Es ist für mich kein Unterschied, ob ich ihn zerschneide oder ein Stück Karton. Ich fühlte mich heute richtig wie in einem Kokon. Darüber redeten wir auch. Er verstand, dass ich mich wohler und sicherer fühle, in meine Versteck, wo keine negativen Einflüsse aber auch keine positiven hineingelangen. Irgendwann muss jeder wieder aus seinem Kokon kommen, meint er. Das ist mir egal, ich denke nicht in die Zukunft, ich "lebe" heute und versuch den heutigen Tag vorbeigehen zu lassen. Er wollte wissen, wie es in meinem Kokon aussieht: Dunkel, leer.. Man fühlt, denkt und sieht nichts. Ich würde gerne für immer da drin bleiben. Ich sehe sie vor mir, meine kleine, dunkle Höhle.. Ich hatte heute wieder echt Mühe, bei der Sache zu bleiben. Ich hörte ihn nicht mehr, Nebel war zwischen uns und verschwommene Gitterstäbe standen dazwischen. Ich konnte mich aber immer auf seine Fragen hin zurückholen, so dass er nichts merkt. Er machte einen wütenden Eindruck, weil ich nicht richtig mitmachte. Wenn ich nicht aufhören will mit der Selbstverletzung, arum bin ich ann überhaupt noch in der Therapie? So fragte er mich, aber ich konnte keine Antwort geben. "Ich weiss es nicht.. Ich weiss nicht, was ich will oder mir vorstelle." Zum Schluss sagte ich ihm dann doch noch, dass ich gerne mal über etwas anderes reden würde, als über SVV, Selbst wenn ich damit aufhöre, würde sich nicht viel an meinem Zustand ändern, es würde mir nicht plötzlich besser gehen.. Das leuchtete ihm ein. Es ist nur verdammt schwer über den anderen Teil der Krankheit zu sprechen, die Gedanken und Gefühle in mir, die ein einziges Chaos bilden, sind nicht so einfach einzuordnen. Er gab mir ein Rezept für ein stärkeres Antidepressiva (...) mit. Da fiel mir einen Satz ein, der man häufig von Betroffenen aus einer Klinik hört: "Sie gaben mir Medikamente" Er gab mir Medikamente und ich nahm sie ohne Wiederrede und ohne Hoffnung auf Besserung.. (Besserung? Was ist das cshon, wenn ich nicht weiss, was für mich besser ist?)



2.September 2003

Heute kam nocheinmal meine Mutter mit zur Therapie. Es war nicht sehr spannend. Sie diskutierten über meine Kindheit und Schulzeit. Wenn ich gefragt wurde, wusste ich es meistens nicht. Keine Ahnung wie es damals war, was ich gedacht oder gefühlt habe. Ich war ein anderer Mensch. Sie versuchten immer noch herauszufinden, was in der 1.Klasse geschah, dass ich mich plötzlich so verändert habe. Der Therapeut fragte mich, ob das neue Medikament schon wirke. Ich hab davon noch nicht viel gemerkt. Vielleicht verändere ich  mich gegen aussen ein bisschen, kann wider besser die Fröhlichkeit vortäuschen, aber im Innern ist alles noch genau so dunkel wie zuvor.

4.September 2003

Dass ich heute das letzte Mal in der Therapie sein würde, ahnte ich noch nicht am Anfang des Gespräches. Eigentlich wollten wir heute über das Chaos in meinem Kopf reden, ich versuchte sogar extra eine Liste zu  machen, um die Gedanken ein bisschen zu ordnen. Aber wir landeten ziemlich schnell beim Thema Eltern + Trennung. "Als ich das Thema ansprach, sah ich, wie ein Schatten über dein Gesicht kam." meinte er. Seine nächsten Aussagen waren wohl der Grund für mein Beenden der Therapie. Er verstehe nicht, warum mir das mit meinen Eltern so zu schaffen macht. Bei einer 12-jährigen würde er es verstehen. Ich sei doch erwachsen und die Ehe meiner Eltern gehe mich gar nichts an. Ich könnte es sowieso nicht verhindern. Ich sagte nichts mehr, vor mir baute sich eine Wand auf, ich brachte keinen Ton mehr raus. Zu Hause erzählte ich es meiner Mutter und sie rief bei ihm an, um zu sagen, dass ich nicht mehr zur Therapie kommen werde. Er wollte zwar noch ein Schlussgespräch, aber ich hatte Angst und keine Lust nocheinmal da hin zu gehen.

23.September 2003

Ich konnte heute schon das erste mal zu meiner neuen Psychologin. Danach geht sie in den Urlaub, aber es gab eine freie Stunde für mich, so dass wir uns mal kennenlernen konnten. Die Rechnung von meinem alten Psychiater kam heute.. Ganz oben steht: Àrztliche Behandlung wegen: Krankheit... KRANK!!
Als ich mit meiner Mutter bei der Praxis ankam, hatte ich überhaupt keine Lust alles nocheinmal zu erzählen und mir irgendwelche Ratschläge anzuhören. Die Therapeutin ist jung und sieht nett aus. Meine Mum wartete im Wartezimmer und mich führte sie in das kleine Sitzungszimmer. Es war gemütlich eingerichtet. Viel heimischer als bei Dr. S. Nun sass ich wiedermal einer Fremden gegenüber und wusste, dass ich in dieser Stunde dasselbe erzählen muss wie immer. Es ist mir klar, dass sie die wichtigsten Dinge wissen muss, aber es ist trotzdem jedesmal ein Stich ins Herz, wenn ich davon erzählen muss. Sie fragte mich warum ich hier bin und was ich von der Therapie erwarte. Wieder sagte ich, dass ich nicht weiss ob ich mit dem Ritzen aufhören will, es aber trotzdem mit einer Therapie versuchen will. Ich gab ziemlich schnell und präzis Antworten, weil mir diese Fragen schon so oft gestellt wurden. Von anderen oder von mir selber. Sie war überrascht, wie offen ich darüber rede und wie kalt und genau ich es beschreiben kann. Sie hört mir zwar zu und ergänzt meine Sätze richtig, aber ich hatte trotzdem das Gefühl nicht ernst genommen zu werden. Sie meinte, ich sei in einer depressiven Phase. Man soll das ernst nehmen aber nicht vergessen, dass ich in einem Alter sei, in dem das Leben für viele Menschen nicht leicht erscheint. Erwachsen werden.. blabla... Phase.. blabla.. Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor!?! Ich schaue aus dem Fenster an die nächste Hauswand. Der Regen zeichnete ein Muster um den Fenstersims. Ich hörte mich reden, meine Stimme, meine Worte.. Ich klang heiser, obwohl ich es gar nicht war. Es war nicht einfach die Sätze in meinem Kopf in meine Stimme zu verwandeln. Die Therapeutin verschwamm vor meinen Augen.. Sie war so weit weg. Distanz hatte keine Bedeutung mehr.. Es gab keine Distanz mehr zwischen uns, zwischen mir und dem Tisch, dem Fenster, dem Stuhl auf dem ich sass. Einige Worte flogen an mir vorbei, obwohl ich mich anstrengte ihr zu zuhören. Ihre Stimme klang nett. Wenn ich mal keine Antwort wusste, wartete sie nicht eine Ewigkeit oder hackte 100mal nach, so wie das Dr. S. getan hat. Ich suschte nach einer Uhr, auf dem Boden, an der Wand aber nirgends war eine zu sehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich am vorherigen Therapieplatz immer nach der Uhr gesehen habe. Ich hatte wenigstens etwas im Griff: die Zeit.

 




 

 

 





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